Ostpreußen. Preußen. "Wir lassen nicht vom Boden, sind sein Sohn", "das deutsche Wesen", "der preußische Militarismus" - Zitate und Schemata. Polnisch-deutsche Beziehungen werden durch das Vergangene belastet, durch die Tragödie des 2. Weltkrieges, aber vor allem durch Schemata, die im kollektiven Gedächtnis und im kollektiven Bild Polens/ Polen und Deutschlands/Deutschen funktionieren. Für Polen (aber was interessant, auch für Franzosen) sind der Preuße und der Deutsche fast wie Synonyme. Im Falle Polens ist es der Überrest der Erinnerung an Teilungen, also an der preußischen Annexion. Für Franzosen ist es immer lebendes Gedächtnis des französisch- preußischen Krieges und der demütigenden Niederlage des II. Kaiserreiches. Sogar der Nazismus mit seiner erniedrigenden Ideologie, entarteten "Hongweibing - Gruppierungen" und allgemeiner Verachtung der Werte, Geschichte, Tradition und Religion wird mit Preußen assoziiert. Obwohl er in Bayern entstanden ist und obwohl die Mehrheit hitlerfeindlicher Opposition, besonders in der Armee, gerade aus Preußen gekommen ist.
Das Schema ist ein ungeheures Gift, das rücksichtslos und gänzlich giftet. Doch fast 700 Jahre bestand in Europa eine Grenze, die sich beinahe um keinen Fußbreit Landes verändert hat - die Grenze zwischen der Republik Polen und dem Deutschen Reich. Gleichzeitig kann man die territoriale Ausbreitung Preußens ohne weiteres zur territorialen Ausbreitung der Republik Polen vergleichen, die z.B. russische Gebiete eroberte.
Doch schwer ist es zu verstehen, dass Preußen nicht Deutschland war; dass es - praktisch von Anfang seiner Geschichte - eine einzigartige Erscheinung auf der europäischen Landkarte war, die man nur mit . der Republik Polen vergleichen kann. Polonisierung der Ostgebiete Polens geschah vor allem durch eine bewusste Wahl - "Litauen, du meine Heimat." ist nur eines der unzähligen Beispiele. Die polnische Minderheit - doch in einigen Orten, Ortschaften und Ländern Mehrheit - reichte bis zu den "ethnischen" Grenzen des Moskauer Staates. Ähnlich war es mit der Expansion des "deutschen Wesens". Es gibt nur einen Unterschied, von dem die Polen nicht wissen oder nicht wissen wollen. Historisch gesehen ist die deutschsprachige Bevölkerung, die die Gebiete von Pommern, Schlesien oder Großpolen angesiedelt hat, nur auf die einige Jahrhunderte früher "verlorenen" Gebiete als Ergebnis der großen Völkerwanderung zurückgekommen. Die Gebiete heute polnischen Pommerns, Schlesiens, Großpolens, aber auch Masowiens und Kleinpolens - wovon auch archäologische Ausgrabungen und manche Namen zeugen können - durch "das slawische Wesen" erst im 5. und 6. Jahrhundert besetzt wurden.
Früher war das Zuhause, "die Heimat" des germanischen Volkes. Das Polentum, das die Gebiete des heutigen Litauens oder Weißrusslands ansiedelte, ist auf die Gebiete eingetreten, auf denen es früher es nicht gab. Es ist aber nur eine einfache Aufzeichnung der Fälle der Geschichte. "Einfach passiert" - wie die Jugendlichen sagen.
Durch 250 Jahre - von Anfang des 15. bis Ende des 17. Jahrhunderts - war am mächtigsten in Europa der Staat Polen - Litauen. Der mehrethnische, mehrkulturelle, mehrreligiöse Staat im Herzen Europas. Für das jüdische Volk "das jüdische Paradies". Doch die bürgerliche Freiheit, die in Anarchie ausgeartet ist, hat die Idee getötet. Für Polen war einer der Töter - außer Russland und Österreich - auch Preußen. Aber gerade in Preußen, doch anders als in der Adelsrepublik, ist es gelungen, einige Ideen zu realisieren, ohne gleichzeitig den Staat zu zerstören.
Bevor die Republik Polen zum mächtigsten europäischen Staat wurde, hatte den Vorrang in Europa das Reich. Das erste Reich. Der Untergang der Republik Polen hat im gewissen Sinn gute Umstände für deutsche Neubelebung und Entstehung des II. Reiches gebildet. Im gewissen Sinn - weil Preußen, bis hin ein sehr lokaler Kleinstaat, die Kräfte und die Macht zu gewinnen begann, was bald eine ganz kapitale Bedeutung für die deutsche Neubelebung haben sollte. Endlich war die Idee der Vereinigung des in Wirklichkeit (schon) vereinigten Volkes nicht mehr nur eine Idee aber "das Wort ist Fleisch geworden".
Gestrittene Quasi-Staaten wurden in eine ziemlich homogene Ganzheit vereinigt. Und gerade Preußen wurde wieder spiritus movens der Veränderungen, auf die die Generationen (schon) der Deutschen gewartet haben. Und jetzt ein Gekicher der Geschichte. Für viele Preußen bedeutete die Regierung der eisernen preußischen Kanzlers Otto von Bismarck Ende des wirklichen, durch die Entstehung des II. Reiches nach dem gewonnenen preußisch- französischen Krieg in Jahren 1870-71 vergrabenen Preußens. Viele wollten das neue Reich nicht und argumentierten, dass es das Ende des Preußentums bedeuten wird, das etwas ganz anderes als das Deutschtum ist.Aber das Schema funktioniert ausgezeichnet. Und nicht Deutschland oder der Deutsche, aber gerade Preußen und der Preuße Synonyme für die schlimmste Gemeinheit und Bosheit sind. Sogar der Kakerlake in der Küche heißt "der Preuße"… Aber man kann und man muss anders. Man kann und man muss von dem Staat und von den Menschen, die diesen Staat durch ihre Leistungen, Ziele und benutzte Maßnahmen gestalteten, sprechen. Staaten und Völker sind nicht moralisch oder unmoralisch. Moralisch oder unmoralisch sind die Menschen. Und gerade die Menschen bilden moralische oder unmoralische Ordnung der Sachen. Wo noch, wenn nicht im Falle Preußens und der Preußen kann man von dem Moral sprechen?
Und obwohl wir dem Preußen Bismarck das Pensionssystem "verdanken" - ist es eine der wenigsten Sorgen des heutigen Europäer, der durch viel schlimmere, aus Frankreich, Italien oder Russland (wenn Russland überhaupt als ein europäisches Land betrachtet werden kann) stammende Ideen gestaltet wird. Nicht in Deutschland und nicht in Preußen dachte man eine kranke Idee eines Volksstaates aus (ein Volk, ein Reich und ein.), nicht in Deutschland und nicht in Preußen schuf man eine irre Idee der national- religiösen Identität (Pole-Katholik, Engländer - Anglikaner), nicht in Deutschland und nicht in Preußen dachte man eine unheilvolle Idee der Demokratie aus (egal ob ein Säufer oder ein Professor - Stimme ist Stimme). Dafür gerade in Preußen neuer Zeiten befreite man - zum ersten mal - Juden von den Gettos, gerade in preußischer Armee wurde eine Regel ausgearbeitet, dass man einen mörderischen Befehl nicht ausüben kann oder darf, gerade der von Clausevitz geschrieben hat, dass der Krieg eine Fortsetzung der Politik ist, aber mit anderen Maßnahmen und hinzugefügt hat, dass ein Krieg die Niederlage der Politik bedeutet. Gerade in Preußen richtete sich der König mit dem Müller und nachdem er den Prozess verloren hat, stellte er fest: "Es gibt noch gute Richter in Preußen". Gerade Preußen war der erste europäische Staat des Rechtes neuer Zeiten.
Ein Preuße ist eine Beleidigung. Ein Preuße ist eine Schande. Ein Preuße zu sein bedeutet Prägung mit der schlimmsten Erbschaft von Leiden und Verbrechen. Ein Schema, das das Gedächtnis und die Geschichte tötet, weil es den Gedanken an die Zukunft vernichtet.
Doch "die preußische Geschichte ist nicht endgültig beendet, sie liegt immer noch sehr nahe". Der wichtige Satz von Rudolf von Thadden ist ein eigenartiges Motto meines Projektes.
Passiert sind gute und schlechte Dinge. Heute, über 60 Jahre nach der schändlichen und gesetzwidrigen Auslöschung des preußischen Staates aus der europäischen Landkarte ist das Ressentiment wieder lebendig geworden. Antipolnische (oder als solche empfundene) Parolen in den Wahlkampagnen in Deutschland, antideutsche (oder als solche empfundene) Parolen in den Kampagnen in Polen. Doch immer noch befindet sich die Hauptstadt Preußens unter russischen Besetzung, immer noch leben die Menschen, die sich an die Katastrophe der Vertreibungen erinnern ( Deutschen, Polen, Ukrainer). immer noch lebt Preußen - in Erinnerung, Erzählungen, Büchern, Seen, Wäldern, Schlössern, und Häusern. Auf den Bildern. In den Urkunden.
"Ruhe allen Schlafenden und Verstorbenen." Mit diesen Wörtern hat Ernst Wiechert eines seiner wichtigsten Lebenswerke - "Die Jeromin-Kinder" beendet. Eine ganz eigenartige Verabschiedung mit Preußen. Und ich möchte nur einen Satz hinzufügen: Frieden den Gedenkenden.
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